Tierquälerei als „systemkonformes“ Vergehen?

Wie oft hast du schon von gravierenden Tierqualfällen in größeren und kleineren Zucht-, Mast- und Schlachtstätten gehört und gelesen, deren rechtliche Aufarbeitung und Ahndung zwar medienwirksam angekündigt – nicht aber in einem adäquaten Rahmen vollzogen wurde?

Menschen, die Tiere systematisch quälen, sehen sich – sofern die Behördschaft Kenntnis von ihren Vergehen erlangt – teils mit einem langwierigen Prozess-Verfahren konfrontiert, aus dem sie nicht selten mit geringen Geldstrafen hervorgehen.  Wenn es um systemische Tierquälerei geht, schöpft die Justiz ihre Ahndungs-Mittel nur in den allerwenigsten Fällen in Gänze aus.

Kontroll-Instanzen in Schlachtereien und auf Höfen werden in ihrer Arbeit oft auf perfide Weise blockiert und sabotiert – werden unterjocht oder erhalten gar Morddrohungen. Aktivist:innen, die im Sinne der Tiere und der gutgläubigen Öffentlichkeit aus Schlachthof- und Mastbetriebsmauern gläserne Wände machen, werden in höchstem Maße kriminalisiert. Der Tierindustrie scheinen alle Mittel recht zu sein, um ihre systemischen Verbrechen vor den kritischen Blicken der konsumierenden Gesellschaft zu verstecken.

Warum das so ist, hat Jens Bülte, Professor für Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Mannheim und Verfasser des Essays „Zur faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“, in einem Interview mit „Die Zeit“ erörtert:

Bülte erkenne als Grund für die unzureichende Ahndung von Tierschutz-Vergehen vor allem personelle Defizite im Rechts-Organ. Viele Gerichtsentscheidungen, die den einzelnen Vergehen meist nicht im Ansatz gerecht würden, ließen auf Sorgfalts-Mängel bzgl. der Verfahrens-Aufarbeitung schließen. Begründungen wie „der Agrarunternehmer habe nicht gewusst, dass die Haltung der Tiere so nicht erlaubt ist“, würden herangezogen, um einen Tierqual-Fall ad acta zu legen.  

Die Strafbarkeit von Tierquälerei setze voraus, dass Täter:innen vorsätzlich handeln – sich quasi darüber bewusst sind, dass sie Leid erzeugen. „Wer also nicht weiß, was er tut, wird nicht wegen Vorsatz bestraft."

Eine Farce, wenn man bedenkt, dass Tier-Züchtende-, Mästende- und Schlachtende schon von Berufs wegen sehr genau um die strukturellen Regularien und tierschutzgesetzlichen Vorschriften ihrer eigenen Tätigkeits-Bereiche wissen. Dennoch finde diese Regelung bei fehlagierenden Agrarunternehmer:innen immer öfter Anwendung und schütze diese vor spürbaren strafrechtlichen Belangungen, was – laut Bülte – „juristisch nicht haltbar“ sei.  

Wo „Nutz“tiere in „gesetzeskonform“ ausgestalteten Betrieben ohnehin leiden, missachten viele Industrielle die knapp bemessenen Mindestanforderungen an die jeweiligen Haltungs-Formen. Sperren „ihre“ Tiere in zu kleine Stallungen oder Fixierungs-Gerätschaften und ignorieren daraus resultierende, leidinduzierte Verhaltensauffälligkeiten, Verletzungen und Erkrankungen . „Das haben wir schon immer so gemacht, deshalb dürfen wir das weiter so machen“ lautet dann oft die „Verteidigung“. Oft werde dabei außer Acht gelassen, dass der reine Glaube daran, dass etwas erlaubt sei, nicht zwingend von einer Strafe entbinde, sofern ein Bewusstsein über die Tragweite des eigenen Handels gegeben sei.

Wo die Rechtssprechung sonst mit strenger Hand agiere, zeige man sich im Bereich des Tierschutzstrafrechtes eher „großzügig“. „Eine juristische Begründung für die Ungleichbehandlung kann ich nicht erkennen“, erklärt Bülte.

Vor allem die dauerhafte Überlastung von Gerichten und Staatsanwaltschaften führe dazu, dass tierschutzrelevante Fälle selten mit der nötigen Sorgfalt aufgearbeitet- und abgeschlossen würden. Aufgrund eines überaus hohen Aufkommens an Straf-Fällen, müsse oft nach Tat-Schwere priorisiert werden. Meist würde Tierschutzvergehen da nicht so viel Bedeutung beigemessen – zudem seien diese sehr zeitintensiv und mit hohem Ermittlungs-Aufwand unter Einbezug vieler Sachverständiger und teils auch unwilliger Veterinärämter verbunden.

Darüber hinaus sei die Landwirtschaft – mit ihren hochspezialisierten Rechtsbeiständen und Verteidigern – sehr stark aufgestellt. Nicht selten werde sich da „Spezialproblemen“ und Verwirrungstaktiken bedient, welche die Staatsanwaltschaft überfordern würden. Hier seien ebenso spezifizierte, staatsanwaltliche Abteilungen, sowie eine grundsätzliche Entlastung justizieller und polizeilicher Organe gefragt.

Hinsichtlich der gezielten Kriminalisierung von Tierrechts- und Tierschutz-Aktivist:innen, die mittels investigativer Recherchen Missstände und Tierqual-Fälle aufdecken, publizieren und vor Gericht bringen, lohne laut Bülte die berechtigte Frage „Sollen hier wirklich Landwirte vor kriminellen Tierschützern geschützt werden, oder eher kriminelle Agrarunternehmer vor Tierschützern?“

👉 Tierquälerei: Kein Interesse, den Missstand aufzudecken | ZEIT Arbeit

Mit der Untergrabung des im Jahr 2002 definierten Staatszieles „Tierschutz“ durch den im Tierschutzgesetz minderdefinierten „VERNÜNFTIGEN GRUND“, der wirtschaftliche Interessen über das Leben und die Würde von Tieren stellt, gewinnt man den Eindruck, dass es sich bei Tierquälerei in vielen Bereichen um ein „systemkonformes Vergehen“ handelt, das für eingehende justizielle Würdigungen ausgeschlossen- und im Sinne der Erhaltung veralteter Gesetzlichkeiten ignoriert wird.

Wir fordern daher die Erweiterung von spezialisierten, staatsanwaltlichen Kapazitäten sowie einen höheren Ahndungs-Anspruch bezüglich tierschutzrelevanter Verbrechen! Deutschland muss dem Staatsziel Tierschutz Rechnung tragen – Denn Mitleid ist zu wenig!